Počátky národopisu na Moravě. Antologie prací z let 1786-1884.


Richard Jeřábek, Strážnice 1997

Ein paar worte an den deutschsprachigen leser

In den historischen Disziplinen, zu denen eine auf das Studium
der überlieferten Volkskultur gerichtete Volkskunde mit einem we-
sentlichen Teil ihres Forschungsgegenstandes sowie mit ihren Me-
thoden bzw. Techniken deren Erforschung auch weiterhin gehört,
steigt die Nutzbarkeit und damit auch die wissenschaftliche Bedeu-
tung der ältesten veröffentlichten Informationen und deren
Erschließung für einen breiten Kreis der Forscher und anderer Inte-
ressenten. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, eine Aus-
wahl von Texten zusammenzustellen, die die ethnischen und ethno-
graphischen Bevölkerungsgruppen sowie auch die ethnographischen
Regionen in Mähren und teilweise auch in jenem Bereich Schlesiens,
welcher Bestandteil des tschechischen ethnischen Gebiets wurde,
und markante Äußerungen der Volkskultur betreffen; von den letzte-
ren dann vor allem solche, die für diese in der Vergangenheit irr-
tümlich als sog. Volksstämme bezeichneten Gemeinschaften und die
noch im vorigen Jahrhundert von ihnen besiedelten Gebiete charak-
teristisch waren und zum Teil noch heute charakteristisch sind.

Zeitlich reichen die in diese Anthologie aufgenommenen Bei-
träge von den ältesten publizierten Berichten seit den 80er Jahren
des 18. Jahrhunderts bis in die Zeit der Konstituierung der "Volks-
kunde als Wissenschaft", in Mähren erst in den 80er Jahren des
19. Jahrhunderts. Von keinem ihrer Verfasser kann behauptet wer-
den, daß er ein Volkskundler im späteren Sinne des Wortes gewesen
wäre, da dieses Fach damals im tschechischen Raum noch nicht for-
miert war. Die meisten Beiträge entstanden spontan aus der Feder
von Verfassern, die sich mit der Geschichte Mährens befaßten,
Archivquellen erforschten, durch Mähren reisten und die Gelegen-
heit wahrnahmen, die Landbevölkerung bei der Arbeit, bei Feierlich-
keiten, Bräuchen und Unterhaltungen zu beobachten und ihrem
Erzählen, Gesang und ihrer Musik zuhörten. Manche von ihnen leb-
ten als Lehrer oder Geistliche in enger Verbindung mit dem Volk und
seiner Kultur, was ihnen ermöglichte, unter die Oberfläche der Wirk-
lichkeit zu gelangen und diese vor dem Hintergrund ihrer Kenntnis-
se zu verstehen. Die Kulturhistoriker, Philologen und Dialektologen,
Schriftsteller und Publizisten konnten die Problematik, deren Erkun-
dung und Beschreibung sich ihnen bot, relativ verläßlich bewältigen.
Andere dagegen, vor allem die Ausländer unter ihnen, kamen mit
dem Landvolk in Mähren nur flüchtig, bei zufälligen Anlässen in Be-
rührung, und ihre Zeugnisse hoben, manchmal auch verzerrt, un-
typische Erscheinungen hervor. Im übrigen waren viele auch auf-
grund ihrer Bildung und ihres Berufes weit entfernt von der Wirk-
lichkeit, die ihnen darüber hinaus nicht selten exotisch vorkam: die
Ärzte bildeten unter den Verfassern keine Ausnahme, es gab aber
unter ihnen auch Agronomen, bzw. Naturwissenschaftler, beispiels-
weise einen Geologen oder einen Astronomen, und schließlich auch
anonyme Autoren, deren Identität uns nicht bekannt ist. Die Texte
erfassen also keineswegs die spätere Entwicklung der Volkskunde in
Mähren, die sich seit Mitte der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts um
bedeutende Persönlichkeiten zu formieren begann, zu denen etwa
die Sammler und Museumsmitarbeiter der sog. Olmützer Volkskund-
lergruppe gehörten, ferner die Herausgeber der monumentalen
Sammlung mährischer Volkslieder František Bartoš und Leoš Janá-
ček, die Organisatoren vieler die Vorbereitung der Tschechoslavi-
schen volkskundlichen Austeilung 1895 in Prag betreffender Veran-
staltungen, sowie die zahlreichen mährischen Mitarbeiter der neu-
gegründeten volkskundlichen Zeitschriften (seit 1891 Český lid und
seit 1897 Národopisný sborník českoslovanský, im Jahre 1906 in Ná-
rodopisný věstník českoslovanský umgewandelt), an deren Spitze
der Kulturhistoriker Čeněk Zíbrt, der Archäologe und Volkskundler
Lubor Niederle, der Komparatist Jiří Polívka und andere standen, von
den Repräsentanten der mährischen Volkskunde ferner insbesonde-
re Josef Klvaňa.

Die Auswahl der Texte in dieser Anthologie beschränkt sich
ausschließlich auf Moravica. Die Silesiaca wurden außer acht gelas-
sen, da diese in der Gegenwart von Forschergruppen im tschechi-

schen Teil Schlesiens bearbeitet werden, die synthetisierende Werke
interdisziplinären Charakters hinsichtlich der Veröffentlichung vor-
bereiten. Unsere Aufgabe war nicht leicht, weil die Zeitspanne seit En-
de des 18. Jahrhunderts bis in die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts
nicht ausreichend bibliographisch bearbeitet ist. Der Suche mußte ei-
ne gründliche heuristische Vorbereitung vorangehen, und die näch-
ste Phase, die in der Feststellung der Zugänglichkeit der ausgesuch-
ten Texte in verschiedenen Bibliotheksbeständen und im Kopieren
der alten, oft stark beschädigten Drucke bestand, war nicht weniger
mühsam.

Den deutschsprachigen Lesern wird sicherlich nicht entgehen,
daß wir in unsere Anthologie nicht nur jene Beiträge aufgenommen
haben, in denen neben den mährischen volkskundlichen Gruppen
auch die damaligen anderssprachigen Mitbürger erwähnt werden,
sondern auch Beiträge, die ausschließlich die deutschsprachige Be-
völkerung in den Grenzgebieten Mährens und im mährischen Bin-
nenland, insbesondere in der Iglauer Sprachinsel, im Kuhländchen
und im Schönhengst betreffen. Hiermit wollen wir deutlich zu erken-
nen geben, daß die heutige mährische Volkskunde sich dieser Pro-
blematik bewußt ist und es für selbstverständlich erachtet, sich auch
weiterhin mit ihr - sine ira et studio - zu befassen.

Für den nicht uneingeschränkten Umfang der Anthologie
konnten 46 Texte ausgesucht werden, von denen 31 auf deutsch ver-
öffentlicht wurden; die übrigen Texte werden nur auf tschechisch ab-
gedruckt. Die Anordnung der Beiträge ist chronologisch, so daß in ih-
rer Reihenfolge sowohl schrittweise die Erschließung des ethnogra-
phischen Bildes von Mähren als auch eventuelle Filiationen,
interethnische, bzw. interkulturelle Beziehungen verfolgt werden
können. Dem tschechischen Benutzer der Anthologie dienen die da-
ran sich anschließenden tschechischen Übersetzungen der deutschen
Texte bzw. zeitgenössische tschechische Fassungen einiger Beiträge.
Im Hinblick auf die Tatsache, daß die meisten der wichtigsten Texte
in authentischer deutschsprachiger Fassung abgedruckt sind, erüb-
rigt sich eine Zusammenfassung ihres Inhalts für die deutschspra-
chigen Leser. Wir beschränken uns daher vor allem auf einige allge-
meinere Charakteristiken und erwähnenswerte Umstände, die die
Entstehung und die Gestaltung dieser Anthologie begleiten. Im Inhalt
sowie im Kopftext der einzelnen Kapitel werden alle Beiträge getreu
nach der Originalausgabe, d.h. in der damals üblichen Form samt In-
konsequenzen bzw. Ungenauigkeiten zitiert.

Das ganze Spektrum der ausgewählten Beiträge wird von ikono-
graphischen Belegen begleitet, von denen nur einige Bestandteil der
Vorlage waren, die meisten jedoch aus zeitgenössischen Trachtenal-
ben stammen, oder es handelt sich um solitäre Zeichnungen und
Graphiken aus Archiven, Museen und privaten Sammlungen. Ange-
ordnet werden sie mit Rücksicht auf ihren regionalen Inhalt in Bezug
auf die Texte, sowie auch chronologisch im Hinblick auf das Alter der
Beiträge, denen sie beigefügt sind. Beschränkte Mittel haben es uns
leider nicht ermöglicht, zumindest einige ausgesuchte Belege in ihrer
ursprünglichen farbigen Ausführung abzubilden.

Der Anthologie geht eine kurze Einleitung unter dem Titel Das
mährische Volk und seine Kultur mit den Augen und der Feder zeit-
genössischer Verfasser voraus, in der in erster Linie darüber berich-
tet wird, welches Bild einer landeskundlichen Gliederung Mährens
sowie des Charakters seiner Bevölkerung sich aus diesen alten Zeug-
nissen ergibt. Ferner folgen Angaben zu den Autoren der Texte und
Abbildungen sowie eine editoriale Bemerkung, die die Kriterien für
die Auswahl der Texte und den Umgang mit ihnen erläutert.

Wir legen nun diese Anthologie unseren Lesern vor, beträfe dies
die Kreise der Fachleute oder nur die an der Volkskunde Mährens In-
teressierten, und zwar nicht nur als Quelle zum Studium vieler Facet-
ten des Lebens eines Volkes in einer unwiederbringlich abgeklunge-
nen Vergangenheit, sondern auch als interessante und fesselnde
Lektüre.

R.J.

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